Verwaltungsschale

Stellen Sie sich vor, Ihre alte Maus gibt den Geist auf. Sie besorgen sich eine Neue. Wahrscheinlich ist diese nicht identisch mit Ihrer alten Maus. Nun sitzen Sie Zuhause oder im Büro und wollen sie in Betrieb nehmen. Was tun Sie dafür? Sie stöpseln das Kabel oder den Bluetooth-Empfänger ein, ein Pop-Up Fenster benachrichtigt Sie darüber, dass Ihr Gerät jetzt eingerichtet wird, eventuell müssen Sie noch einmal bestätigen, dass benötigte Treiber heruntergeladen werden können. Und schon können sie loslegen! Das war jetzt wenig aufregend. Daher ein etwas spannenderes Beispiel:

Vom Schreibtisch in eine Fabrik: Eine Fertigungslinie mit vielen Stationen und Werkzeugen, darunter auch Industrieschrauber. Diese können Sie sich vorstellen wie sehr komplexe Bohrmaschinen, die überaus präzise arbeiten. Wie im Beispiel mit der Maus an Ihrem Computer gehen wir jetzt davon aus, dass ein solches Werkzeug ausgetauscht werden muss. Auch hier wird vielleicht kein identischer Schrauber vorhanden sein und es wird ein vergleichbares Modell genommen. Man könnte jetzt meinen, dass die Inbetriebnahme ähnlich läuft wie mit der Maus. Weit gefehlt.

Diese Geräte auszutauschen ist deutlich komplizierter. Mit "Einstöpseln, Bestätigen - fertig!" ist es hier nicht getan. Um solche Teile auszutauschen, muss ein Techniker kommen, um das Gerät in Betrieb zu nehmen. Parameter müssen konfiguriert und Sensoren angelernt werden. Das dauert lange und kostet Geld. Muss sogar eine Fertigungslinie teilweise oder vollständig umgebaut werden, um zum Beispiel ein anderes Bauteil produzieren zu können, entstehen so schnell Umrüstzeiten von einigen Wochen.

Zurecht werden Sie sich jetzt fragen: Geht das nicht auch einfacher? Diese Frage hat man sich auch innerhalb des BaSys Referenzforschungsprojektes des BMBF (Projekt, in dem eine Referenzarchitektur für Industrie 4.0 definiert wird) gestellt. Dort ist das Konzept der Verwaltungsschale entstanden. Auch wenn der Begriff der Verwaltungsschale etwas irritierend sein mag, ist das Konzept simpel: Die Installation eines neuen Werkzeugs in einer Produktionsanlage soll so einfach werden wie der Austausch eines Peripheriegeräts am Heimcomputer. Die Grundidee ist eine Standardisierung, ohne die eigentlichen Produkte zu standardisieren. Eine Produktionsanlage ist ein Netz aus verschiedenen Komponenten, die zusammenarbeiten, um eine Aufgabe zu erfüllen. Aktive Komponenten können selbst mit dem System kommunizieren, passive erhalten Befehle und reagieren. Zur Vereinfachung bzw. Standardisierung wird das Prinzip der Verwaltungsschale genutzt. Eine Übersicht zu dem Mechanismus bzw. der Idee finden Sie in der folgenden Abbildung.

Eine Verwaltungsschale ist die digitale Beschreibung des Assets, auch Digital Twin genannt. Sie bildet zudem die Kommunikationsschnittstelle zwischen dem Asset und dem restlichen Netz. Dieser digitale Zwilling enthält alle wichtigen Informationen unseres Assets, seine technischen Daten, Dokumentationen, Methoden, Zustände usw. Um eine Strukturierung der Verwaltungsschale zu gewährleisten, besteht sie im Inneren aus verschiedenen Teilmodellen. Das sind Klassen von zusammengehörigen Werten. Je nach Asset liegen diese Teilmodelle inklusive der enthaltenen Daten entweder beim Asset selbst oder in einer Cloud-Anwendung vor. Ein einfaches Beispiel für ein solches Teilmodell ist das elektronische Typenschild, „Digital Nameplate“ genannt. Es repräsentiert das an jedem Gerät beispielsweise als Aufkleber oder Blechschild angebrachte Typenschild mit seinen dort ablesbaren Daten. Ein weiteres Beispiel ist das Teilmodell „TechnicalData”. Es stellt ein digitales technisches Datenblatt des Assets dar. Hierin sind Werte wie Hersteller, Artikelnummer, Maße, Gewicht und Ähnliches vermerkt. “Technical Data” ist, wie auch „Digital Nameplate“, ein bereits in BaSys standardisiertes Teilmodell. Das System weiß nun also zu jedem Asset genau, welche Maße und welcher Hersteller zugehörig ist. Durch die Standardisierung innerhalb der Verwaltungsschale sind wichtige Informationen nun einfach und elektronisch abrufbar zugänglich.

Da die Anforderungen an Assets und deren Funktionsweise aber von Unternehmen zu Unternehmen sehr unterschiedlich sein können, gibt es neben den übergreifenden, standardisierten Basis-Teilmodellen wie beispielsweise „TechnicalData“ auch die Möglichkeit, Vorlagen für Teilmodelle z. B. für die Dokumentation zu nutzen oder ganz eigene Teilmodelle zu entwickeln. Das macht das System sehr variabel und anpassbar, je nachdem welche Komponenten wie angesprochen werden sollen. Wenn nun eine Komponente, z. B. unser Industrieschrauber ausgetauscht wird, muss der Techniker nicht von Hand die maximale Drehzahl oder zulässige elektrische Stärke eingeben, sondern der Digital Twin kann sie selbst aus dem Asset-Speicher oder aus einer Datenbank bzw. einer Cloud auslesen. Das Ziel dieses Konzeptes ist es, die Flexibilität in der Produktion zu erhöhen. Durch die verringerten Rüstzeiten der Fertigungslinien kann die Produktion schneller wieder aufgenommen werden. Diese Verbesserung könnte die Produktion während einer Umrüstung in Zukunft möglicherweise sogar weiterlaufen lassen. So könnte auch mehr individuelle Produktion möglich werden. Wenn eine Fertigungslinie mehrere Wochen Umrüstzeit hat, muss (damit es wirtschaftlich bleibt) auch eine gewisse Auslastung gewährleistet sein werden. Wenn die Umrüstzeit und damit auch die Kosten immer weiter verringert werden, können auch kleinere Chargen wirtschaftlich produziert werden. Insgesamt soll die Verwaltungsschale herstellerübergreifende Interoperabilität schaffen und Produkte, Geräte, Maschinen und Anlagen über ihren gesamten Lebenszyklus abbilden. Um mehr über das zugrundeliegende Referenzforschungsprojekt BaSys zu erfahren, lesen Sie hier unseren bereits vor einer Weile veröffentlichten Artikel. Wenn Sie Fragen haben, sprechen Sie uns gerne an!